Die Kommasetzung bei Hauptsätzen mit „und“/“oder“

Zu den vielen Mythen, die sich um die neue deutsche Rechtschreibung ranken, gehört der, dass die Kommasetzung mittlerweile völlig willkürlich ist. Dem ist natürlich nicht so – siehe meine Einträge in der Kategorie „Beistrichsetzung“. Vielmehr hat die Reform die Kommasetzung deutlich erleichtert.

Während früher zwischen zwei Hauptsätzen (also vollständigen Sätzen mit Subjekt und Prädikat), die mit und oder oder verbunden sind, immer ein Komma stehen musste, ist das heute nicht mehr notwendig. Wem’s besser mit Komma gefällt, kann natürlich weiterhin eins setzen. Beide Möglichkeiten sind also erlaubt: kein Komma oder eben doch eins.

Richtig ist also …

Du kannst gehen, oder du kannst bleiben.

… aber auch diese Variante:

Du kannst gehen oder du kannst bleiben.

Übrigens gilt diese Regel auch, wenn die Hauptsätze mit den folgenden anderen Konjunktionen verbunden sind: beziehungsweise, entweder – oder, nicht – noch und weder – noch.

Beispiel:
Weder schrieb er einen Brief, noch kam er selbst.
Weder schrieb er einen Brief noch kam er selbst.

Aber: Zwei Hauptsätze, die nicht mit und oder oder verbunden sind, stehen weiterhin mit Komma:

Thomas hat einen Hund, ich habe eine Katze, die Nachbarin hat einen Wellensittich.
Der Vorhang hebt sich, es wird leise, der Film beginnt.