Zweifelsfälle beim Doppelpunkt

Gestern wurde der folgende Kommentar bei einem Beitrag zum Thema Groß- oder Kleinschreibung nach Doppelpunkt hinterlassen:

Die Duden-Regel 93 Punkt 2 besagt:

Nach einem Doppelpunkt kann groß- oder kleingeschrieben werden, wenn der folgende Satz (wie ein Teilsatz) auch mit Gedankenstrich oder Komma angeschlossen werden könnte.

Beispiel:
Das Haus, die Wirtschaftsgebäude, die Stallungen: Alles/alles war den Flammen zum Opfer gefallen.
(Denn man könnte auch schreiben: Das Haus, die Wirtschaftsgebäude, die Stallungen ‒ alles war den Flammen zum Opfer gefallen.)

Muss man demnach z. B. in folgenden Sätzen die Kleinschreibung korrigieren?

Der Wutausbruch verkörpert seine Einstellung: die des Menschen, der alles hat und sich alles erlaubt.
Er verkörpert, was er auch predigt: den gütigen Menschen, der immer zu helfen bereit ist.

Eine sehr gute Frage! Prinzipiell gilt natürlich die Grundregel, dass dann großgeschrieben werden muss, wenn nach dem Doppelpunkt ein vollständiger Satz steht. Aber es gibt eben Sonderfälle wie den oben beschriebenen. Allerdings wäre ein Gedankenstrich oder Komma in den beiden fraglichen Fällen nicht möglich, weshalb diese Ausnahmeregelung nicht zur Anwendung kommt.

Sehen wir uns die kniffligen Fälle einzeln an:

Der Wutausbruch verkörpert seine Einstellung: die des Menschen, der alles hat und sich alles erlaubt.

Meine werte Meinung dazu ist, dass es sich hier um eine Ellipse handelt, dass also ein Satzteil, nämlich Einstellung, eingespart und nicht wiederholt wird. Deshalb empfehle ich in diesem Fall die Kleinschreibung. Wie seht ihr das?

Im Dudenband 9 („Richtiges und gutes Deutsch”) lese ich übrigens Folgendes:
Oft folgt auf einen Doppelpunkt ein Ausdruck, der kein vollständiger Satz mit Personalform ist oder der nur aus Nebensätzen besteht. Sieht man diesen Ausdruck als selbstständig an, so schreibt man ihn groß, sonst klein.

Als Beispiel wird angeführt:
Vieles hat man ihm verziehen: dass er egozentrisch war und dass er Menschen verletzte, die ihm ihre Hilfe anboten.

Das ist meiner Meinung nach auch die Überlegung, die auf den zweiten Satz anzuwenden ist:
Er verkörpert, was er auch predigt: den gütigen Menschen, der immer zu helfen bereit ist.

Bin gespannt, ob es dazu abweichende Meinungen gibt. Auch wenn ich bei vielen Leserinnen die Sehnsucht nach strengen Regeln für alle orthografischen Fragen erlebe, finde ich es persönlich sehr angenehm, bei selten auftretenden Fragen ein wenig Entscheidungsspielraum zu haben.