Tag Archives: Relativpronomen

Ein Mädchen namens Livia

img_0665Kürzlich wies mich ein Leser meiner Rezensionen auf www.buchrezension.eu auf eine Kritik hin, die ich an der folgenden Verwendung des Relativpronomens angebracht hatte. Es handelt sich um eine Übersetzung aus dem Italienischen. Autor ist der von mir sehr geschätzte Andrea de Carlo.

Hier der von mir beanstandete Satz, der dem erwähnten Leser einiges an Kopfzerbrechen bereitete:

Er studierte Agrarwissenschaft und lebte mit einem zierlichen jungen Mädchen namens Livia zusammen, die in einer Bar arbeitete.

Ich habe jetzt lange darüber nachgedacht und viel in Grammatiken geblättert und bin mir mittlerweile nicht mehr ganz sicher, ob ich diese Stelle zu Recht beanstandet habe.

Einfach wäre der folgende Fall: Er lebte mit einem jungen Mädchen zusammen, das in einer Bar arbeitete.
Hier bezieht sich das Relativpronomen das ganz klar auf Mädchen und bereitet keine Schwierigkeiten.

Auch bei dieser Satzkonstruktion ist die Sache klar:
Er lebte mit Livia zusammen, die in einer Bar arbeitete.
Das Relativpronomen bezieht sich auf die weibliche Livia. So weit, so gut.

Was ist aber, wenn wir es quasi mit einem doppelten Bezugssubstantiv zu tun haben? Ein Mädchen namens Livia … es stehen die Relativpronomen das und die zur Auswahl. Das bezieht sich auf Mädchen, die auf Livia. Was tun? Wie würdet ihr euch spontan entscheiden?

Hier nun das Ergebnis meiner Recherche.

Grundsätzlich übernehmen Relativpronomen natürlich das Genus des Bezugsworts:
Das Mädchen, das im Haus gegenüber wohnt, spielt gut Klavier.

In meiner Duden-Grammatik lese ich darüber hinaus auch, dass bei Personalpronomen das natürliche Geschlecht vor allem bei längerer Distanz zum Bezugssubstantiv bestimmend ist. Als Beispiel wird angeführt:

… stürzten sich auf das Mädchen, das in der Ecke stand, und drohten ihr mit Erschießen.

Dieser Fall trifft in unserem Beispiel nicht zu, weil das Relativpronomen fast unmittelbar nach dem Bezugssubstantiv bzw. den Bezugssubstantiven steht.

Den einzigen anderen Hinweis, den ich noch finde, ist folgender:

Wenn der veraltete Titel Fräulein ohne Artikel vor einem Personennamen steht, bestimmt der Personenname das Genus:

Fräulein Becker, die gerade ins Büro gekommen ist, …

Mit Artikel ist es allerdings umgekehrt:

Das tüchtige Fräulein Becker, das gerade ins Büro gekommen ist, …

Ich bin nun weitestgehend ratlos. Wie würdet ihr euch entscheiden und warum? Bin gespannt auf eure Antworten!

Warum nur „angsterfüllt“, aber sowohl „Not leidend“ als auch „notleidend“?

Wenn ein eigenständiges Substantiv und ein Partizip aufeinanderstoßen, kann man/frau sich in vielen Fällen zwischen der Getrennt- und Zusammenschreibung entscheiden:

die Not leidende Bevölkerung/die notleidende Bevölkerung
die Dienst habende Ärztin/die diensthabende Ärztin
die Deutsch sprechenden Touristen/die deutschsprechenden Touristen

Erklärung: In diesen Beispielen wird ein Relativsatz – also z.B. die Bevölkerung, die Not leidet – zu einer Partizipialkonstruktion verkürzt und wird zu Not leidende Bevölkerung/notleidende Bevölkerung. Dabei wird das Relativpronomen (hier: die) „eingespart“ und das Ganze wird eleganter und griffiger.

Diese Unterscheidung ist wichtig, denn: Wird durch die Partizipialkonstruktion mehr als nur das Relativpronomen eingespart, muss zusammengeschrieben werden (und natürlich klein). Beispiele:

ein angsterfüllter Blick, weil bei der Wortgruppe ein Blick, der von Angst erfüllt ist, zusätzlich die Präposition von eingespart wird
die todbringende Seuche, weil bei der Wortgruppe eine Seuche, die den Tod bringt, zusätzlich der Artikel den eingespart wird
der schneebedeckte Berg, weil bei der Wortgruppe ein Berg, der mit Schnee bedeckt ist, zusätzlich die Präposition mit eingespart wird

Das mag auf den ersten Blick etwas gewöhnungsbedürftig klingen, ist aber mit ein bisschen Übung und Geduld gut umsetzbar.

Sobald sich ein so genanntes Fugenzeichen (der Buchstabe s oder n) zwischen dem Substantiv und dem Partizip einschleicht, muss sowieso immer zusammengeschrieben werden:

die erholungssuchenden Touristen
die gnadenbringende Weihnachtszeit
eine lebensrettende Maßnahme

Wer sich’s ganz einfach machen möchte, schreibt bei Substantiv und Partizip einfach stets klein und zusammen und ist somit auf der sicheren Seite: notleidend, deutschsprechend, schneebedeckt, lebensrettend.

Übrigens: Verbindungen aus verblassten Substantiven und Partizip schreibt man sowieso immer klein und zusammen: eisgelaufen, teilnehmend, stattfindend.

Der Unterschied zwischen „das“ und „dass“

Heute eine Regel, die wohl jede/r schon mal gehört hat, die aber für viele Fehler sorgt.

Also: Das ist ein Artikel und ein Relativpronomen (das heißt, es steht für ein Substantiv). Dass hingegen ist eine Konjunktion, also ein Bindewort.

Beispiele für Artikel bzw. Relativpronomen: Sie will ein Haus, das ihren Ansprüchen genügt. Sie hat ein Auto, das schon sehr alt ist.

Hier bezieht sich das das auf das davor stehende Substantiv, nämlich Haus bzw. Auto. Hier können Sie das das durch welches ersetzen – immer ein eindeutiges Indiz dafür, dass es sich um ein Relativpronomen handelt, das Sie immer mit einem s schreiben.

Beispiel für Konjunktion: Ich weiß, dass ich nichts weiß. Was rätst du mir, dass ich tun soll?

Wenn Sie hier versuchen, das dass durch ein welches zu ersetzen, ergibt der Satz keinen Sinn mehr. Also: Wenn die Ersetzung mit welches nicht klappt, haben Sie es mit der Konjunktion dass zu tun und die schreibt sich mit Doppel-s.