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Die Erklärung des Vorstand(e)s

VorstandJedes Quartal wieder lese ich Geschäftsberichte von großen börsennotierten Unternehmen Korrektur. In diesem Zusammenhang habe ich mit einer Kundin vor einiger Zeit die Frage besprochen, ob es auf den letzten Seiten Erklärung des Vorstands oder Erklärung des Vorstandes heißen muss. Die frohe Botschaft lautet: Beide Varianten sind möglich.

Das Thema -es oder -s beim Genitiv ist diffiziler, als die Sprachexpertin annehmen würde. Im Dudenband 9 („Richtiges und gutes Deutsch”) gibt es dazu eine ganze Menge Ausführungen. Hier die zentralen Botschaften im Überblick:

Die volle Endung -es steht immer bei Substantiven, die die folgende Endung aufweisen: -s, -ss, -ß, -x, -z, -tz. Beispiele: des Glases, des Überflusses, des Reflexes, des Gewürzes, des Sitzes.

Die kürzere Form -s kommt bei Substantiven mit den folgenden Endungen zur Anwendung: -en, -em, -el, -er, -ler, -ner, -end, -chen, -lein, -ig, -ich. Beispiele: des Wagens, des Lesens, des Atmens, des Gürtels, des Lehrers, des Sportlers, des Rentners, des Abends, des Mädchens.

In den übrigen Fällen besteht Wahlfreiheit, wobei die volle Form mit -es besonders bei einsilbigen und endbetonten Substantiven bevorzugt wird: des Gemütes, des Ertrages, des Leibes.

Bei Komposita mit Fugen-s wird häufiger die Endung -es gewählt: des Jubiläumsjahres, des Geschäftsfreundes.

Die kurze Form -s wird bei Substantiven mit unbetonter Endsilbe bevorzugt: des Urteils, des Urlaubs, des Vortrags. In diese Kategorie fällt auch unser Vorstand. Es darf also durchaus Erklärung des Vorstands heißen. Erklärung des Vorstandes ist aber auch in Ordnung … wichtig ist es im Quartalsbericht, dass die eine oder Schreibweise konsequent durchgezogen wird. Der Duden selbst schreibt, dass viele der genannten Verwendungsbedingungen aus rhythmischen oder stilistischen Gründen nicht selten außer Acht gelassen werden.

Als Illustrationsbild hätte ich gerne eine weibliche Vorstandsriege verwendet. Da das derzeit leider noch utopisch ist, hier ein realitätsnahes Bild, wie ein Vorstand in der Regel aussieht: männlich und grau.

 

Der Apostroph beim Genitiv

Wer diese Überschrift schnell liest, hört womöglich schon die Alarmglocken schrillen: Ist nun auch die Autorin dieser Zeilen dem Deppenapostroph à la *Michi’s Auto und *Manuela’s Katze zum Opfer gefallen? Nein, keinesfalls. Denn:

Es stimmt, dass Apostrophe beim Genitiv, anders als im Englischen, die absolute Ausnahme sind. Aber es gibt sie. Und in bestimmten Fällen sind sie Pflicht. Diese Fälle sind zugegebenermaßen eher selten. Sehr oft bietet sich auch eine Umformulierung an, die sich obendrein eleganter liest und besser klingt. Aber fangen wir mal ganz am Anfang an.

Es mögen sich bitte alle, die mit der deutschen Rechtschreibung auf Kriegsfuß stehen, bitte zumindest eines merken: Der Genitiv wird im Deutschen nicht mit Apostroph gebildet. Noch einfacher gesagt: Der Genitiv ist der zweite Fall, auch Wesfall genannt, und beschreibt, wenn etwas zu jemandem gehört. Damit ist der Genitiv also der Fall der Zugehörigkeit oder auch der Herkunft. Wenn das grüne Auto meiner Freundin Helga gehört, heißt das auf Deutsch Helgas Auto, während es im Englischen Helga’s car heißen würde. So weit, so klar – hoffentlich.

So, nun gibt es aber Eigennamen bzw. Substantive, die folgende Endungen haben und üblicherweise nicht von einem Artikel begleitet werden: -s, -ss, -ß, -tz, -x, -ce.
Beispiele: Jorge Luis Borges, Bregenz, Günter Grass, Chamonix usw.

In diesen Fällen darf nicht wie im oben genannten Beispiel ein -s beim Genitiv drangehängt werden. Das würde sehr kurios aussehen:

*Jorge Luis Borgess Lebenswerk ist wenig umfangreich.

Vielmehr ersetzt in solchen Fällen ein Apostroph das Genitiv-s. Es muss also heißen:

Jorge Luis Borges‘ Lebenswerk ist wenig umfangreich.

Davon abgesehen ist es in meiner Einschätzung sowieso phonetisch schöner, den Satzinhalt folgendermaßen auszudrücken:

Das Lebenswerk von Jorge Luis Borges ist wenig umfangreich.

Abschließend: Wer hier nur kurz vorbeisurft, sich wenig für die Details der deutschen Rechtschreibung interessiert und sich deshalb nur eine Regel merken möchte: Finger weg vom Apostroph beim Genitiv! Rechtschreib-Fans wiederum werden sich auch für die oben stehenden Ausführungen interessieren.

Kommentare und Meinungen jederzeit willkommen.

Genitivbildung bei Lehnwörtern aus dem Englischen

Kürzlich beschrieb ein Leser eine schwierige Frage in einem Kommentar. Sie lautete folgendermaßen:

Wie ist das eigentlich mit dem Deklinieren fremdsprachiger Substantive und feststehender Wendungen in einem deutschen Satz? Das ist gerade dann immer wieder ein Problem, wenn sich diese Substantive oder Wendungen nicht übersetzen lassen, ohne dass bei der Übersetzung ein Teil des Sinns verloren geht.
Beispiel: Die Wendung Good War beschreibt im Englischen eine spezifische Wahrnehmung des Zweiten Weltkrieges, die sich nicht so einfach mit guter Krieg übersetzen lässt. Heißt es dann des Good War oder des Good Wars? Oder des Good War’s (um das Genitiv-s besonders zu betonen …)?

Keine einfache Frage. Ich fange mal am Schluss an: Auch wenn es verständlich ist, auf die grammatikalischen Regeln den Englischen zurückgreifen zu wollen, darf im Deutschen der Genitiv nicht mit Apostroph und -s gebildet werden.

In Band 9 schreibt der Duden Folgendes:

Der Genitiv wird bei aus dem Englischen entlehnten Wörtern auf -ing mit -s gebildet: die Vorzüge des Leasings. Bei seltener gebrauchten und insbesondere eigennamenähnlichen Fremdwörtern wird das Genitiv-s häufig weggelassen (besser ist die Form mit -s: die Schreibung des griechischen Beta[s]).

Natürlich endet Good War nicht auf -ing, weshalb der erste Fall keine Anwendung findet. Der zweite Fall bezieht sich wohl gleichermaßen auf Substantive, die aus dem Englischen entlehnt sind, als auch auf solche aus anderen Sprachen. Frau und man beachte das wunderschöne Adjektiv eigennamenähnlich. Darum handelt es sich meines Erachtens bei Good War. Angesichts der Formulierung im Dudenband denke ich, dass hier einiges an Entscheidungsspielraum besteht. Anscheinend gibt es hier keine verbindliche Regel und der Duden beschreibt vielmehr den vorherrschenden Usus beim Umgang mit diesen Fällen. In meinen Ohren klingt der Genitiv des Good War am schönsten. Wie geht es den anderen Expertinnen und Experten da draußen?