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Advent, Advent

Jedes Jahr bekomme ich von einer geschätzten Kundin einen Adventkalender mit leckerer Schokolade. Da die Kundin in Deutschland zu Hause ist, ist im Begleitschreiben immer vom Adventskalender, also mit Fugen-s, die Rede.

In Österreich sagen wir überwiegend Adventkalender. Das ist insofern bemerkenswert, als es sehr viele Beispiele gibt, wo es genau umgekehrt ist und wir in Österreich ein Fugenzeichen verwenden, während es im Bundesdeutschen weggelassen wird: Umzugskarton, Gelenksentzündung, überfallsartig.

Wie geht es euch? Fallen euch weitere Beispiele zur unterschiedlichen Verwendung des Fugenzeichens in Österreich und Deutschland ein?

Einen richtig tollen Adventkalender gibt es übrigens von einem österreichischen Paradeunternehmen im Bereich Bio-Produkte: Die Firma Sonnentor vertreibt einen „Tee-Adventkalender” (natürlich ohne Fugen-s) mit einem Teebeutel pro Tag. Bei diesen Temperaturen fällt es mir schwer, jeden Tag tatsächlich nur ein Säckchen zu entnehmen!

Ich wünsche noch eine schöne restliche Adventzeit!

Austriazismen für Neulinge

Vor wenigen Tagen hielt ich mit meiner Zwillingsschwester einen Vortrag bei der Jahreskonferenz des amerikanischen Übersetzungsverbandes ATA (American Translators Association). Unsere Präsentation stand ganz im Zeichen der in Österreich üblichen Varietät des Deutschen und nannte sich „Austriazismen für Neulinge″. Im Doppelpack brachten wir unserem Publikum Kuriositäten des österreichischen Sprachgebrauchs näher und hatten dabei eine große Gaudi, pardon, ziemlich viel Spaß. Den Rückmeldungen zufolge hat es auch den Zuhörerinnen und Zuhörern eine ganze Menge Spaß gemacht. Genau genommen gingen wir weit über Austriazismen hinaus, da sich dieser Begriff ausschließlich auf die Lexik bezieht. Wir behandelten auch Aspekte der Aussprache und einige wenige Unterschiede bei der Rechtschreibung (Geschoss vs. Geschoß), die Verwendung von Präpositionen (Urlaub auf dem Bauernhof in Deutschland und Urlaub am Bauernhof in Österreich, siehe auch hier), Wortbildung (Stichwort: Fugenzeichen) und Grammatik: In Österreich wird das Perfekt bei Verben der Körperhaltung immer mit sein gebildet: Ich bin gesessen. Ich bin gehockt. Ich bin gelegen.

Besonders gut kam die österreichische Tendenz zur Verniedlichung an: Häferl, Stockerl, Leiberl … und überhaupt: Darf“s ein bisserl mehr sein? Für großes Gelächter sorgte auch der Werbeslogan der Stadt Wien und deren Hundstrümmerl-Initiative: Nimm ein Sackerl für mein Gackerl. Der Slogan hat bei seiner Einführung die Gemüter in Wien ziemlich erhitzt; bei der ATA-Konferenz im sonnigen San Diego war’s ein echter Schenkelklopfer.

Da der Vortrag so gut angekommen ist, überlegen wir, bei der kommenden Konferenz in San Antonio, Texas, über „Austriazismen für Fortgeschrittene“  zu plaudern, also zu erzählen. Da werden wir unser Publikum mit besonders kniffligen Austriazismen quälen, etwa: Der Kolporteur ist seit gestern abgängig.

Weiß jemand von euch ohne nachzusehen, was Kolporteur und abgängig bedeutet? Wer südlich des legendären Weißwurstäquators wohnt, möge bitte nicht mitmachen, denn dann wäre es nur halb so lustig.

Von deutschen Adventskalendern und österreichischen Adventkalendern

Aus gegebenem Anlass: Warum sagt man in Österreich Adventkalender und in Deutschland Adventskalender? Das liegt an der unterschiedlichen Verwendung des so genannten Fugen-s. Dieses s steht zwischen mehreren Wörtern, die gemeinsam ein Kompositum ergeben. Meistens sind das Substantive, Infinitive, Adjektive etc. Beispiele: Museumsleiterin, freiheitsliebend, hoffnungsvoll.

Die Verwendung des Fugen-s ist eine relativ komplizierte Angelegenheit und auf mehreren Seiten beispielsweise im Duden-Band Nr. 9 nachzulesen. Es gibt Fälle, wo kein Fugen-s verwendet wird, wie z. B. bei Zusammensetzungen mit femininen Fremdwörtern, die auf -ur oder -ik enden:
Kulturfilm, Naturkunde, kritiklustig

Während die Behörden bei den Steuern das Fugen-s einsparen und Einkommensteuer sagen, ist beim gemeinen Volk die Schreibweise Einkommenssteuer durchaus korrekt und üblich. Wenn der zweite Bestandteil des Kompositums das Wort Straße ist, ist die Schreibung mit oder ohne Fugen-s korrekt: Bahnhofstraße oder Bahnhofsstraße.

Und wie ist das nun mit dem deutschen Adventskalender und dem österreichischen Adventkalender?
Bei Zusammensetzungen mit Advent schreibt der Duden, dass ein Fugen-s zu stehen hat, weist aber gleichzeitig darauf hin, dass diese Wörter in Österreich ohne Fugen-s geschrieben werden.

In diesem Sinne: schöne Weihnachtszeit, da wie dort mit Fugen-s!

Warum nur „angsterfüllt“, aber sowohl „Not leidend“ als auch „notleidend“?

Wenn ein eigenständiges Substantiv und ein Partizip aufeinanderstoßen, kann man/frau sich in vielen Fällen zwischen der Getrennt- und Zusammenschreibung entscheiden:

die Not leidende Bevölkerung/die notleidende Bevölkerung
die Dienst habende Ärztin/die diensthabende Ärztin
die Deutsch sprechenden Touristen/die deutschsprechenden Touristen

Erklärung: In diesen Beispielen wird ein Relativsatz – also z.B. die Bevölkerung, die Not leidet – zu einer Partizipialkonstruktion verkürzt und wird zu Not leidende Bevölkerung/notleidende Bevölkerung. Dabei wird das Relativpronomen (hier: die) „eingespart“ und das Ganze wird eleganter und griffiger.

Diese Unterscheidung ist wichtig, denn: Wird durch die Partizipialkonstruktion mehr als nur das Relativpronomen eingespart, muss zusammengeschrieben werden (und natürlich klein). Beispiele:

ein angsterfüllter Blick, weil bei der Wortgruppe ein Blick, der von Angst erfüllt ist, zusätzlich die Präposition von eingespart wird
die todbringende Seuche, weil bei der Wortgruppe eine Seuche, die den Tod bringt, zusätzlich der Artikel den eingespart wird
der schneebedeckte Berg, weil bei der Wortgruppe ein Berg, der mit Schnee bedeckt ist, zusätzlich die Präposition mit eingespart wird

Das mag auf den ersten Blick etwas gewöhnungsbedürftig klingen, ist aber mit ein bisschen Übung und Geduld gut umsetzbar.

Sobald sich ein so genanntes Fugenzeichen (der Buchstabe s oder n) zwischen dem Substantiv und dem Partizip einschleicht, muss sowieso immer zusammengeschrieben werden:

die erholungssuchenden Touristen
die gnadenbringende Weihnachtszeit
eine lebensrettende Maßnahme

Wer sich’s ganz einfach machen möchte, schreibt bei Substantiv und Partizip einfach stets klein und zusammen und ist somit auf der sicheren Seite: notleidend, deutschsprechend, schneebedeckt, lebensrettend.

Übrigens: Verbindungen aus verblassten Substantiven und Partizip schreibt man sowieso immer klein und zusammen: eisgelaufen, teilnehmend, stattfindend.